Dienstag, 27. Oktober 2009

Literatur: "Stark - The Dark Half" / "The Dark Half" [Stephen King, 1989]


Es braucht etwas Zeit, um sich auf das ungewöhnlich alberne Handlungsgerüst von Stephen Kings "Stark – The Dark Half" einzulassen, das einige Jahre später von George A. Romero in die Lichtspielhäuser gebracht wurde. Ein Schriftsteller (welch' Überraschung) wird von seinem – als Kind absorbierten, jedoch wieder auferstandenen – Zwillingsbruder tyrannisiert, verfolgt, gedemütigt. Nur dass sich dieser Zwillingsbruder als des Schriftstellers Pseudonym von des Schriftstellers "dunklen" Büchern entpuppt, die er unter jenem Pseudonym herausbrachte, und sich der Zwillingsbruder jetzt rächen will, weil der Schriftsteller sein Pseudonym und zugleich seine Protagonisten sterben ließ, indem er die Bücherreihe beendete.

Gleichzeitig wird die Geschichte von ominösen Sperlingen begleitet, die später noch ihren Zweck erfüllen werden. Da evoziert nicht nur die kuriose Entstehungsgeschichte des Romans reichlich Verwirrung, sondern auch die Handlung als solches. Doch "Stark – The Dark Half" ist nicht eines dieser im Phantastischen einzuordnenden, literarischen Beispiele, wo Gut und Böse klar voneinander abgegrenzt sind; "Stark – The Dark Half" ist stattdessen ein außerordentlich kompromissloser Roman, rau, dreckig, frivol, so kühl und so unerbittlich wie dessen titelgebender Antagonist. Hier wird konsequent eine Düsternis in den Bildern zelebriert, die sich in den Köpfen der Leser permanent verhakt, und die sie nicht mehr loslässt.

Nach Beendigung der Lektüre fragt man sich jedoch, inwiefern dies alles Fiktion oder gar Biographie sein könnte. Immerhin schrieb King lange Jahre als Richard Bachmann Geschichten. Berichtet der Autor in "Stark – The Dark Half" etwa aus seinem wahren Leben? Hat dieser Richard Bachmann auch von Stephen King Besitz ergriffen? Oder konnte er es rechtzeitig verhindern, das, was unserem Helden, Thad Beaumont, nicht gelungen ist? Abseits dieser interessanten Fragen stellt sich die Autor-Pseudonym-Dialektik als packende Konfrontation heraus, bei der es King selten gelungen ist, ein derart hohes Maß an Spannung in sein Werk hineinfließen zu lassen.

Wird man anfangs von einem abenteuerlichen Prolog in Form einer grotesken Operation überrascht, steigert sich das im Laufe der Story. Bewegt sich der Blutpegel anfangs unter einem relativ überschaubaren Maßstab, so fährt King mit der Zeit härtere Splatter- und Gore-Geschütze auf. "Stark – The Dark Half" ist zweifellos eines der brutalsten King-Bücher. Detailreich, ohne große Schnörkel, ohne Verzicht, der eigentlichen Brutalität die Attraktion zu nehmen, werden Menschen gnadenlos abgeschlachtet, zerhackt und aufs Blutigste erschossen, es wird gefoltert und explizit ein Verwesungsprozess veranschaulicht.

Es ist ein blutrünstiger Rausch der Gewalt, der sich vor allem bei Starks Auftritten anbahnt und sich schlussendlich in all seinen Facetten entfaltet. Ein Rausch der Gewalt einer imaginären Figur, die erst weiterleben kann, wenn sich sein Schöpfer zum Weiterschreiben seiner Romane entschließt. Und doch taugen Starks Morde als grandiose Einzelmomente, da sie in ihrer Konzeption einen essentiellen Teil der Beklemmung und der Atmosphäre ausmachen, einer dichten, klaustrophobischen Atmosphäre in einer finsteren Halbwelt, in der man lieber nicht vergessen sollte, wer man ist.

Dabei kann "Stark – The Dark Half" in Sachen Themen und Stilistik eines Stephen King trotz verschiedener narrativer Perspektivwechsel innerhalb bestimmter Situationen als angenehm zurückhaltend gewertet werden. Pragmatisch und mit viel Fingerspitzengefühl, ohne die obligatorischen Metaphern und illustren Neologismen aus dem Ärmel zu schütteln, verknüpft der Kultautor einen konventionellen Krimiplot (bei dem jedoch nicht selten aus der Mottenkiste gegriffen wird – die Entführung von Thads Ehefrau etc.) mit Elementen des Psycho-Thrillers.

Diesen wiederum bettet er in eine Art Hitchcock-Hommage ein, was sich in den Bezügen der Vögel – hier: Sperlingen – äußert. Eine an und für sich interessante Idee, allerdings gerät jene Hitchcock-Referenz mit der Zeit zur Unzulänglichkeit, da weder die (simple) Auflösung der Vögel zufriedenstellend ist – man konnte sie vorher gar erahnen –, noch die Vögel selber. Diese werden zunehmend so stark in die Handlung integriert, dass man meint, die literarische Version des Films "Die Vögel" zu lesen, so energisch bezieht sich King auf Hitchcock.

Auch das überzogene Ende vermag in dieser Hinsicht zu enttäuschen, da einerseits zu abrupt, andererseits ist der Weg bis zum Epilog mit apokalyptischem Hokuspokus gespickt, sodass King mehr und mehr die Lösung im Phantastischen zu suchen scheint, die jedoch der Redundanz zum Opfer fällt und dem Roman Einiges an Glaubwürdigkeit raubt. Dagegen suggerieren die Akteure neben den geschliffenen Dialogen, die sie sprechen dürfen, einen mehr als souveränen Eindruck. Dass King ohnehin ein Meister plastisch gezeichneter Figuren ist, sollte an dieser Stelle nicht näher erläutert werden.

Trotzdem lohnt ein Blick auf die zahlreichen Verknüpfungen anderer seiner Werke, die sich beispielsweise in der Hauptfigur Thad Beaumonts bemerkbar machen. Der geneigte King-Leser wird ihn noch einmal in "In einer kleinen Stadt" wiedertreffen. Aber auch "Friedhof der Kuscheltiere"-Reminiszenzen (die Beaumonts leben in Ludlow) sowie weitere "In einer kleinen Stadt"-Anspielungen (in Form des Sherrifs Alan Pangborn) finden ihren Weg in die Handlung. Großes Lob verdient außerdem die Figur des George Starks, ein mit unvorstellbarer Wucht zuschlagender Soziopath, der keine Prinzipien kennt, der nach seinen eigenen Regeln vorgeht, und der schlichtweg alles und jeden abknallt, der mit Beaumont in Verbindung steht.

Mit "Stark – The Dark Half" präsentiert Stephen King einen ausgesprochen cleveren Roman, bei dem sich die Klugheit nicht explizit aus der bisweilen altbackenen Handlung herauskristallisiert, sondern vielmehr aus der Konstellation zwischen dem Schriftsteller und seinem zweiten Ich, einem geschickten wie doppelbödigen Verwirrspiel. Eine psychologische Reise durch das Dies- und Jenseits, veritabel geschrieben. Die Schockmomente treffen zumeist ins Schwarze, im Mittelteil etwas zäh, zum Ende hin schwächer, aber die Unterhaltungsmaschinerie wird deswegen nicht wirklich gestoppt.