Sonntag, 5. April 2009

Der Versuch einer Filmanalyse / Update: Psycho (1960)


Ein schwarz/weißes Paramount-Logo. Danach Stille – aber nur für kurze Zeit. Dann die Opening Credits. Der Vorspann beginnt. Plötzlich ertönt eine Filmmusik, bestehend einzig und allein aus einem Streichorchester. Ein gewisser Bernard Herrmann zeichnet sich dafür verantwortlich, wie sich später herausstellt. Es vermischen sich in dieser Komposition stakkartoartige Klänge mit schrillen Geigen und dissonanten Violinenschreien. Hypnotisch, aggressiv, furchteinflößend schnell. Schaurig-schön. Dieser Score unterstreicht das bisherige Leinwandgeschehen auf virtuose Art und Weise, was sich bis jetzt in "zerschneidenden" Texten des visuell von Saul Bass inszenierten Vorspanns widerspiegelt. 2 Minuten lang. Nervenzerreißend. Nach dieser halben Ewigkeit endlich die erlösende erste Szene, die erlösende erste Einstellung. Eine Beruhigung ist das, die Musik beruhigt sich ebenfalls. Was folgt, ist ein spektakulärer Kameraschwenk, so als ob wir Vögel wären. Wir befinden uns in Phoenix, Arizona. Wir schreiben den 11. Dezember, ein Freitag. Es ist genau 14:43 Uhr. Die Kamera zoomt gemächlich an ein karges Hotel heran. Der Name des Hotels ist irrelevant. Was wir gleich zu sehen bekommen ist noch unklar. Schnitt. Dann taucht die Kamera durch ein Fenster, hinab in den nicht sonderlich luxuriösen, stattdessen verhältnismäßig düsteren Raum, vorbei am Badezimmer und kommt darauf unvermutet zum Stillstand. Was wir jetzt sehen, ist ein Paar. Eine Frau und ein Mann. Die Frau liegend auf dem Bett, der Mann stehend neben ihr. Sehr provokant, denn beide sind leicht bekleidet. "Willst du nicht wenigstens etwas essen?", sagt der Mann zu seiner attraktiven Freundin. Beide können sich aufgrund ihrer privaten Komplikationen nur heimlich treffen, sehr zum Leidwesen der Frau - "Ist es nicht schrecklich, dass wir in solche finsteren Buden gehen müssen?" Im anschließenden Dialog wird über diesen problematischen Sachverhalt debattiert. Der Mann auf der einen Seite der Argumentation, die Frau auf der anderen. Auftakt zu Alfred Hitchcocks transzendierendem Grusel-Meilenstein "Psycho" aus dem Jahre 1960.

Wie alles begann...

Anno 1959 brachte der US-amerikanische Autor Robert Bloch ein Buch auf den Markt, das sich sowohl von dem berühmten Frauenmörder Ed Gein inspirieren lies als auch den gleichen Titel wie der Film selbst trägt: "Psycho". Ed Gein, seines Zeichens ein Serienkiller, der erst zwei Jahre zuvor in Blochs Heimatstadt Wisconsin gefasst worden war, darf zugleich als Norman Bates gedeutet werden, dem eigentlichen Schurken im Roman und Film. Denn auch er bevorzugt es ausschließlich in Frauenkleidern herumzulaufen und wird darüber hinaus von einer gespaltenen Persönlichkeit beherrscht. Die Parallelen zwischen Gein und Bates sind also unabdingbar. So wurde das Projekt ein großer Erfolg in den Bestsellerlisten und als geradezu prädestiniert für die Leinwand gehandelt. Solange, bis Bloch schließlich die Rechte an seinem Buch einem anonymen Agenten für 9.500 US-Dollar verkaufte, der sein literarisches Werk auf Zelluloid umsetzen wollte. Nur ahnte Robert Bloch zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass es sich bei dem Unbekannten um keinen Geringeren als Meisterregisseur Alfred Hitchcock ("Das Fenster zum Hof"; "Vertigo – Aus dem Reich der Toten") handelte, der nach der Zusage fast alle übrigen Exemplare des Buches prompt aufkaufte, um hauptsächlich den Ausgang der Geschichte vor Filmstart möglichst geheim zu halten. Hitchcock gefiel vor allem die Vorstellung, dass die Hauptperson schon nach nichtmal der Hälfte der Geschichte stirbt und ihr daher eine völlig andere Richtung verleiht ("I think the thing that appealed to me was the suddenness of the murder in the shower, coming, as it were, out of the blue. That was about all."). [1]


Die Arbeit an "Psycho" für Hitchcock und seinem Team nahm von nun an Gestalt an. Mit einem Budget von etwa 806.000 Dollar bewaffnet, war die anfangs vorgesehene Verleihfirma Paramount Pictures allerdings nicht wirklich begeistert von gleichnamiger Adaption. Zu abstoßend, hieß es unter anderem. Deshalb musste Shamley Productions für die Finanzierung herhalten, mit des Regisseurs eigener Verleihfirma, bei der er sogar bestimmte Einsparmaßnahmen vornehmen musste. Exemplarisch hierfür der Kompromiss, dass der Streifen in schwarz/weiß realisiert werden würde, was zum einen billiger ist, zum anderen diverse blutige Details kaschiert. Den Film also weitaus weniger brutal erscheinen lässt als wie in Farbe. Bei der Suche nach einem geeigneteten Drehbuchautoren gestaltete sich die Angelegenheit ebenfalls als problematisch. Denn vom ersten Rohentwurf James Cavanaughs, der vorher einige Episoden für die Fernsehserie "Alfred Hitchcock Presents" geschrieben hatte, war Hitchcocks tendenziell eher weniger begeistert, mehr noch, das Script lese sich wohl wie ein Fernsehfilm. Also kontaktierte der "Master of Suspense" den bis dahin noch relativ unbekannten Autoren Joseph Stefano, der nach anfänglichem Bedenken die Arbeit an "Psycho" begann und Blochs Buch in ein geeignetes Drehbuch umschrieb. Gesagt, getan. Drehbuch ist fertig, Hitchcock ist endlich zufrieden. Stefano hält sich eng an die Romanvorlage. Abgesehen von Bates Charakterisierung und seinen Körperproportionen, und abgesehen von einer Liebesromanze zwischen Lila Crane und Sam Loomis, abgesehen von einer leicht veränderten Duschszene und dem damit verbundenen Mord, wurde Blochs Buch fast 1:1 adaptiert.

Eine der markantesten, einprägsamsten Dinge im Film ist Norman Bates´ Motel, das sich an ein mehrstöckiges Haus anschließt – Bates´ Zuhause. Dieses kann man heute noch auf dem Gelände der Universal Studios besichtigen, mit dem Unterscheid, dass der Komplex heute wesentlich verkleinert dargestellt ist, sodass das Haus und das Motel, ganz zu schweigem vom Hügel, eben kleiner wirkt. In den 1960er-Jahren war eben jenes Gelände des Terrors – nach einem Vorbild einer Villa in Kent, Ohio designt - die teuerste Requisite, die fast 15.000 Dollar des ursprünglichen Budgets verschlungen hatte.


So begannen die Dreharbeiten schließlich am 11. November 1959. Am 1. Februar 1960 waren sie abgeschlossen. Genauso wie es Hitchcocks besonderer Drang war, Blochs restliche Bücher aufzukaufen, um in erster Linie das Ende geheim zu halten, verhielt es sich auch seitens der Promotion des Streifens. Die Kritiker bekamen keine einzige Testvorführung, stettdessen mussten sie ihn erst zum offiziellen Kinostart sehen. Selbst die Darsteller durften keine Interviews geben, in der Angst, sie könnten auch hier wieder das Ende verraten. Bei der letztendlichen Vorführung im Kino verfügte Hitchcock über eine Klausel, die besagte, dass niemand mehr nach Beginn der Vorstellung in den Saal reingelassen werden sollte, um die Atmosphäre nicht zu stören oder die ganz und gar wichtige Duschszene zu verpassen, der Überraschungsmoment sollte de facto weiterhin bestehen bleiben.

Erfolg

"Psycho", heute ein vielfach angepriesenes, ja, filmisch wegweisendes Meisterwerk und zugleich einer der ersten Slasher überhaupt, wurde bei Kinostart allerdings sehr differenziert aufgenommen. Sein Erfolg war zwar unabdingbar, die Schlange vor den Kinokassen war dementsprechend lang, was nicht zuletzt auf Hitchcocks besondere Geheimniskrämerei in der aufwendigen Werbekampagne zurückzuführen ist, dennoch bescheinigtem ihm die Kritiker keinen guten Ruf, prangerten seine Brutalität an. Die katholische Kirche forderte gar ein Verbot des Filmes, Psychologen rieten von einem Kinobesuch ab. Doch letzten Endes war es der immense Erfolg des Psycho-Thrillers, der eine Neubewertung seitens der Kritiker erst möglich machte. Und die dann zum größten Teil entsprechend positiv ausfielen. War der Film vorher noch miserabel und unnötig brutal, zudem psychologisch fragwürdig, wurde er vorher noch verrissen, waren plötzliche Lobhudeleien von anerkannten Journalisten keine Seltenheit mehr – meisterhaft wurde er nun genannt, der Film. Sein Erfolg ging letztlich soweit, dass des Filmes bekannteste Motive – Bates´ Motel, Duschszene, Norman Bates – heute in zahlreichen popkulturellen Bezügen Anwendung findet. Aber auch sonst beeinflusste "Psycho" Horrorfilmregisseure und das Genre in seinen Grundfesten gleichermaßen. Heute darf konstatiert werden, dass "Psycho" eine der besten und kommerziell erfolgreichsten Produktionen Alfred Hitchcocks darstellt, seine letzte in schwarz/weiß inszenierte Arbeit, ein vielschichter Kultschocker, der eine stattliche Anzahl an Auszeichnungen, aber auch an qualitativ mangelhaften Sequels (Gus Van Sants Neuverfilmung von 1998 beispielsweise) einheimsen konnte und dessen genauere Betrachtung Ziel dieser Filmanalyse ist.


Von Voyeurismus & den üblichen Hitchcock-Motiven

Betrachtet man "Psycho" rein von formalen und narrativen Gesichtspunkten aus, fällt auf, dass Hitchcocks Film, der sich irgendwo zwischen Psycho-Thriller und Horror ansiedelt, erstmal rein vom setting her sehr minimalistisch ausgestattet ist. Im Grunde genommen zählen dazu lediglich ein Motel und ein mehrstöckiges Haus – Bates´ Welt, die alles repräsentiert, wofür er lebt. So wie dieses Motel im übertragenen Sinn für einen greifbaren Ort steht, an dem die meisten Zuschauer schon waren, tangiert auch der Film als solches eine Intention, die klassischer, aber aktueller denn je nicht sein könnte. Denn "Psycho" versucht die Angst in jedem Zuschauer möglichst lebensnah auf die Leinwand zu zelebrieren. Die Angst davor, unvermutet in eine Situation zu kommen, in der es in einer Sekunde auf die andere um Leben und Tod geht, wenn wir nicht mehr entscheiden können, was wir im nächsten Augenblick tun werden, wenn wir handeln müssen, ohne Willen, ohne Rücksicht auf Verluste. Genau das sind Ängste, die der Film thematisiert, und mit denen wir uns letzten Endes alle irgendwo identifizieren.

Dabei spielt Voyeurismus, wie es die Teilüberschrift bereits evoziert, eine gewichtige Rolle, die sich schon in der von Orson Welles´ "Im Zeichen des Bösen" inspirierten Plansequenz ganz am Anfang äußert – als die Kamera in der Vogelperspektive langsam durch ein Hotelzimmer fährt, um ein Liebespaar zu "beschatten". Aber auch später wird er großgeschrieben, dieser Drang des Beobachtens. Kurz vor dem Mord an Marion Crane beobachtet Norman Bates eben jene halbnackt bekleidete Marion durch ein heimliches Guckloch hinter einem Bild (das kurioserweise eine Vergewalting zeigt) in seinem Wohnzimmer, das sich direkt neben dem Bad in Marions Motelzimmer befindet (Ihr die Zimmernummer 1 zu geben, war von Bates demnach nicht willkürlich). Darüber hinaus avanciert John L. Russels Kamera immer wieder zum menschlichen Auge, sie fungiert als Sehorgan des Zuschauers, die dem Publikum immer wieder den Voyeurismus in seiner reinsten Form erleben und gewähren lässt. Insbesondere nach dem Mord unter der Dusche gleitet die Kamera ziellos durch den Raum und kommt schlussendlich am in die Zeitung versteckten Geldpaket zum Stillstand (Hitchcocks bewährter schwarzer Humor). Mehr noch, selbst beim eigentlichen Mord, bei dieser legendären Szene, übernimmt die Kamera die Rolle des Duschkopfes, der fortan Marions unglückseliges Ende wiederum von oben geradezu faszinierend beobachtet. Der Zuschauer sieht allerdings – wie das im Gegensatz bei einem Auge oftmals der Fall ist – nicht alles, so wie der unbekannte Inhalt den Buches mit unbekanntem Titel, welches von Lila Crane zu späterer Stunde geöffnet wird, und das ihr nach dem Öffnen einen erschreckenden Gesichtsausdruck verleiht. Interessant ebenso das Kennzeichen Marions Wagen, den sie bei einem Gebrauchtwagenhändler getauscht hat: NFB-418, die Initialen Norman Francis Bates´.


Fernab jeglicher Zweiteilungen und Brüche – das wichtigste Stilmittel wird weiter unten fokussiert -, besitzt "Psycho" alle weiteren typischen Hitchcock-Motive, die sich wie ein roter Faden in des Regisseurs gesamtes Ouevre ziehen. Da hätten wir zuerst die obligatorische Blondine in Gestalt Marion Cranes, Norman Bates Figur als solches – er ist sozusagen der charmante Antagonist -, aber auch der Einsatz bestimmter tricktechnischer Elemente, vor allem in der Überblendung ganz am Schluss, als der Skelettschädel Normans Mutter auf Normans eigenes Gesicht projeziert wird. Hinzu kommt der effektvolle Mord an Milton Arbogast, der einerseits mit Hitchcocks Vorliebe bezüglich des Licht- und Schattenspiels (Schatten = Bedrohung), auch der extravaganten Kameraperspektiven, liebäugelt, andererseits den Spagat zur Hitchcock´schen Suspense schlägt.

"Die Vögel" trifft auf "Psycho"

Schon in seinem Frühwerk "Erpressung" von 1929 setzte Hitchcock seine gefiederten Freunde als Symbol drohender Gefahr ein. Ebenso finden sich Vögel-Anspielungen in "Vertigo – Aus dem Reich der Toten" (Judys Anstecker an ihrer Bluse) sowie in "Marnie". In seinem Tierhorror "Die Vögel" wurden den Vögeln schließlich eine besondere Rolle zuteil, denn Hitchcock weitete sie erstmals zum gesamten Hauptthema eines Filmes aus und verdichtete sie zudem als Metapher für zwischenmenschliche Verhaltensweisen. Stefanos Drehbuch zu "Psycho" enthält ebenfalls derlei Vögel-Symbole. Marion Crane trägt beispielsweise den Nachnamen Crane (Kranich), sie kommt aus Phoenix – nach dem gleichnamigen verbrannten Vogel, der die Fähigkeit besitzt, aus der Asche wieder emporzusteigen. Norman Bates dagegen präpariert mit Vorliebe ausgestopfte Vögel, sein ganzes Wohnzimmer im Motel ist mit Vögeln gesäumt, dessen Bösartigkeit schnell beim ersten längeren Dialog zwischen Marion und Norman deutlich wird, wird Marion doch die ganze Zeit über von den Vögeln regelrecht von oben herab aggressiv angestarrt, sodass sich ihr Opferstatus bekräftigt. Selbst Bilder von Vögeln hängen in Marions Motelzimmer an der Wand, von denen eines nach dem Mord versehentlich heruntergestoßen wird. Auch avanciert Norman Bates als eine Art Vogel, als er Marions Leiche samt Auto im Sumpf verschwinden lässt und das Szenario unter Geäst kommentarlos beobachtet.


Überall herrscht Ambivalenz - Teil I

"Filme zu drehen, das bedeutet für mich zuerst und vor allem, eine Geschichte zu erzählen. Diese Geschichte darf unwahrscheinlich, aber sie darf nie banal sein. Sie sollte dramatisch und menschlich sein. Das Drama ist ein Leben, aus dem man die langweiligen Momente herausgeschnitten hat." [2] Wie es der Rezensent dieser Analyse bereits weiter oben – und sei es auch nur rudimentär – angedeutet hat, spielt Hitchcock in "Psycho" geschickt mit dem Mittel der Manipulationen des Publikums. Er legt absichtlich falsche Fährten aus, er zwingt den jeweiligen Zuschauer, mal mit diesem Protagonisten, mal mit jener Figur Sympathie und Mitleid zu empfinden. Hin- und hergerissen durch verschiedenste Stilmittel. Hin- und hergerissen zwischen Neugier und Angst. Die Erwartungshaltung des Publikums wird immer wieder in einen jeweiligen Verlauf gelenkt. Man möchte meinen, dass Hitchcock beim Zuschauer selbst intensiver Regie führt als bei den Akteuren selbst. Eine Meisterleistung. Schon der Titel "Psycho" ist nicht eindeutig zuzuordnen. Er könnte sowohl für Norman Bates Krankheitsbild stehen als auch eine Art Psychoanalyse betiteln, die sich dahingehend äußert, dass der Film vordergründig auf eine Erforschung des Unterbewusstseins setzt. Desweiteren wendet der Regisseur in seiner Figurenkonstellation das Mittel des Verheimlichen ein. Seien es die Schlaftabletten von Marions Arbeitskollegin, Norman Bates´ Mutter, das gestohlene Geld seitens Marion oder gar den Whiskey von Marions Chef: Es ist interessant, dass alle wichtigen Charaktere etwas zu verheimlichen, zu verstecken oder zu verbergen versuchen.

Dass "Psycho" eben ein Film der Brüche und Spaltungen ist, lässt sich nicht nur in den Credits und Herrmanns Partitur festmachen. Schon eines der zentralen Motive in der Narration reflektiert diese unglaubliche Ambivalenz in den Bildern: Spiegel. Spiegel stehen nicht nur für die Selbstkenntnis, auch für die Zwiespälte im Innersten der handelnden Personen. So tauchen Spiegel in den verschiedensten Situationen auf. Die Eingangshalle des Motels ist mit Spiegeln regelrecht überfrachtet, jeder muss sich somit widerspiegeln, wenn er mit Norman über ein freies Zimmer spricht. Am deutlichsten jedoch ist die Sache mit den Spiegeln im Zimmer von Norman Bates´ Mutter, welches im spannenden Showdown von Lila Crane besucht wird. "Psycho" steckt voller visueller Symbolismen und ausgeklügelter Raffinessen, die alle dieses gespaltene Persönlichkeits-Thema tangieren. War beispielsweise "Die Vögel" mit einer komplexen Farbdramaturgie versehen, nimmt es sich Hitchcock auch hier nicht, zur Farbe – völlig egal, ob der Film in schwarz/weiß ist – zurückzukehren. So lohnt ein Blick auf Marions Kleider. Ist sie anfangs noch so rein wie ein "Engel" (nach Hitchcock), sind also ihre Kleider, insbesondere ihr Büstenhalter und ihre Handtasche so unschuldig weiß, wechselt das Farbspiel nach dem Diebstahl des Geldes plötzlich. Büstenhalter und Tasche sind jetzt schwarz. Sie tauscht darüber hinaus ihr schwarzes Auto in ein helles ein. Aber auch sonst beherbergt dieses Konzept optische Zerteilungen. Am Anfang zerschneidet der Kran den Himmel, Marion und Sam haben im ersten Dialog des Filmes völlig verschiedene Ansichten über ihr weiteres Treffen in Hotels, was sich zudem in ihren anfänglichen körperlichen Positionen wiederfindet (Sam stehend, Marion liegend), ja, selbst Bates´ vertikales Haus liegt in strenger Relation zu seinem flachen Motel. Hier liegen die Horizontalen und die Vertikalen seitens der Bildmontage eng beieinander, erfüllen in etwa die gleiche Funktion.


Überall herrscht Ambivalenz - Teil II

Norman Bates ist das große Paradoxon in "Psycho". Der rätselhafteste Akteur, aber auch eine der interessantesten verlorenen Seelen der Filmgeschichte. Vieles bezüglich seiner Person bleibt im Verborgenen, das Bild von diesem Bates wird an keiner Stelle so richtig klar. "Je gelungener der Schurke ist, umso gelungener ist der Film." [2] Er spricht während der Unterhaltung mit Marion im Motel exemplarisch von einer verhassten Krankheit, die seine Mutter hat. "Ich hasse, was aus ihr geworden ist." Doch was meint er mit dieser Krankheit? Seine eigene? Ihren Tod? Stefano und Hitchcock liefern darauf keine stichhaltige Antwort. In Norman Bates manifestiert sich am ehesten diese ungeheure Ambivalenz, was sich am simpelsten in seinen Gefühlsschwankungen herauskristallisiert. Beim gleichen Dialog mit Marion, zu der er so freundlich und hilfsbereit wie nur möglich erscheinen will – Liebe auf den ersten Blick? -, wird er von einer Sekunde auf die andere überraschend jähzornig. Speziell da, als Marion vorschlägt, Normans Mutter "wegzubringen", das als Synonym für in eine (Irren-) Anstalt einweisen gesehen werden kann. Normans daraufhin urplötzlicher Wutausbruch kann im Kontext des engen Verhältnisses zu seiner geliebten Mutter jedoch als gerechtfertigt gesehen werden - "Der beste Freund eines Mannes ist seine Mutter."

Eine andere essentielle Frage ist jene, die sich mit Normans Vergangenheit auseinandersetzt. War er das Kind einer Mutter (Hitchcocks vielfach eingesetztes Motiv: dominante Mütter), die ihn mithilfe einer Mischung aus Ablehung und krankhaft übertriebener Fürsorge in den Wahnsinn trieb? Es ist schließlich die Mutter, die ihn zu dieser Persönlichkeitsspaltung zwischen gewünschter Normalität und bestialischer Rache geführt hat. Könnte er am Tag doch glatt als "klassischer" Mensch durchgehen, erwacht in ihm erst nachts das Böse, während alle anderen schlafen, während Ruhe herrscht. Erst jetzt realisiert er den von der Mutter ausgehenden Trieb, den Trieb zu morden, Frauen und alles was lebt zu hassen und es als logische Konsequenz zu vernichten. "Bates und "hates" reimt sich, und auch Norman und "normal" wirkt wie ein freudscher Schreibfehler. "Norman hates": der tagsüber "Normale" hasst und zerstört Leben in der Nacht." [3] Und trotz allem ist dieser Norman Bates für das größte Wechselbad der Gefühle seitens des Zuschauers verantwortlich. Einerseits Bedauern, Mitleid durch Bates´ angestrengte Art, normal zu wirken, trotz seiner großen Unsicherheit und Unkonzentriertheit in Umgebung von Menschen, trotz seiner tief sitzenden sozialen Ängste, andererseits Abscheu und Wut durch seine ausufernden Gewaltakte. Dieses emotionale Chaos, diese Schwankungen durch eine Figur beim Zuschauer sind so dermaßen akribisch durchgeplant wie in keinem anderen Hitchcock.


Überall herrscht Ambivalenz - Teil III

Genauso wie bei Norman Bates, ist auch der Zuschauer bei Marion Crane innerlich zerrissen – wenn auch wesentlich schwächer. Schon im ersten Dialog des Filmes mit Sam im dunklen Hotelzimmer verfestigt sich diese These - "Wenn du schon solide sagst, ist es schon unsolide." Auch ihre berufliche Position trägt erheblich zu Cranes Ambivalenz bei, steht sie auf der einen Seite ihrem Arbeitgeber treu zur Seite, mehr noch, ist sie die beliebte Sekretärin einerseits, stiehlt sie ihrem Chef andererseits eine Menge Geld und flüchtet mit diesem. Eine Sünde, von der sie sich dann unter der Dusche in Bates´ Motel sozusagen "reinwaschen" will, symbolisch dann aber mit dem Tode qualvoll betraft wird, anstatt auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen. Ebenso wird Marions seelischer Zwiespalt bei der Flucht aus Phoenix optisch thematisiert, wenn sie darüber nachdenkt, welche Reaktionen ihr Verbrechen ausgelöst hat, was sich in ihrer jeweiligen Mimik widerspiegelt. Hier ein Lächeln, denn Cassidy hat anscheinend nicht die Macht, es ihr heimzuzahlen, da aber wieder ein ruckartiges Öffnen und Schließen ihrer Augen und des Mundes nach Einsetzen des prasselnden Regens, bei der sie höchtwahrscheinlich eine Vision eines schrecklichen Verbrechens hat, das kurioserweise schon bald Realität werden wird.

Mit dem Duschen kommt der Tod

Eine abgeschattete Welt, in der sich eine Frau namens Marion Crane scheinbar sicher fühlt und sich von ihren Sünden erlösen will. Doch genau hier wird es passieren, in dieser engen, kalten Kabine. Fluchtmöglichkeiten? Fehlanzeige. Hier soll er passieren, der unglaubliche Mord. Marion wartet nichtsahnend auf ihre Hinrichtung. Dann eine schemenhafte Silhouette einer anderen Person. Dann ein langsames Wegziehen des Duschvorhangs nach des langsamen Herankommens selbiger ominöser Gestalt. Links von Marion ein Messer, rechts eine strahlende Glühbirne. Dann ein schnelles, erschreckendes Wegziehen des Vorhangs. Norman Bates mit Frauenkleidern tötet Marion Crane nackt. Weit von der Kabine entfernt, um sich nicht unnötig die Hände schmutzig zu machen. Er tötet sie mit der größtmöglichen räumlichen Distanz. "Ein weiteres Bild, das sich dem Zuschauer aufdrängt, ist die sogenannte "Insekten-Metapher": Marion Crane ist ein gefährliches Insekt, mit großen, dunklen und aufgerissenen Augen, offenem Mund und nassen Haaren wirkt sie wie ein gefährliches Insekt, das zermatscht werden muss; Norman ist symbolisch der Insektophobiker. [Denn] Norman hat Angst vor Kleingetier: Mit "drei Meter langen Armen" und weggespreiztem Körper schlägt Norman auf das bizarre Wesen ein, um es unschädlich zu machen." [4]


Nach einer rund Dreiviertelstunde schlägt Hitchcock brutal zu. Nach nur einer rund Dreiviertelstunde wird der Zuschauer unmittelbar Zeuge dieses gewaltigen Mordes, der wohl berühmtesten Assoziation zu "Psycho" und zugleich Aushängeschild des Filmes. Obwohl diese Szene unter der Dusche lediglich 2 Minuten andauert (der tatsächliche Mord allerdings nur 45 Sekunden), nahm die Inszenierung selbiger eine ganze Woche ein, was ungefähr einem Drittel Janet Leighs (Marion Crane) gesamter Drehzeit entsprach. Diese Szene mit unvergessener musikalischer Untermalung besteht dabei aus rund 70 Kameraeinstellungen und 50 Schnitten, bei dem Saul Bass, der auch schon die Opening Credits entworfen hatte, ein Storyboard nach genauen Vorgaben des Regisseurs zeichnete. Doch genau diese Szene ist letzten Endes nichts weiter als eine große Illusion, die Macht der Suggestion eben, was ihren kongenialen Status da nur untermauert. Denn Norman Bates Verbrechen wird keinesfalls in aller Ausführlichkeit gezeigt, nur angedeutet. Es fließt sogut wie kein Blut (Hitchcock und seine Crew verwendeten Schokoladensirup der Marke Bosco), man sieht zudem kein einziges Mal, wie Bates das Messer in Marion hineinsticht. Durch den hervorragenden Schnitt George Tomasinis nimmt der Zuschauer also war, dass zu keiner Zeit ein Messer den Körper der jungen Frau berührt. "Die eigentliche Brutalität ergibt sich eher aus dem, was in den Köpfen der Zuschauer vor sich geht, als aus dem, was tatsächlich auf der Leinwand zu sehen ist." [5] Was bleibt, sind letztlich nur Großaufnahmen, die zum Teil in Zeitlupe gedreht wurden. Was bleibt, sind Einstellungen von dem zum Auge gewordenen Duschkopf, von Marions Schultern, Händen und ihrem schmerzerfüllten Gesicht und natürlich Bates Händen inklusive Messer. In eindringlichen Bildern krallt sich Marion nach der unglaublichen Tat am Duschvorhang fest, krallt sich in ihren letzten noch verbliebenen Minuten fest. Stille. Ihr Blut strömt gen Abfluss und steht als Metapher für ihr davonfließendes Leben.


Heute ranken sich um diesen erschreckend oft zitierten magic moment der Filmgeschichte zahlreiche Mythen, Legenden und Anekdoten, von denen sich die meisten allerdings als falsch oder als unbegründet herausstellen. Da ist zum Beispiel das Gerücht, dass Janet Leigh rein gar nichts von der Szene wusste und daher völlig unvorbereitet auf dem Set erschien. Wieder eine zwar interessante, jedoch auch hier wieder äußerst haltlose Anekdote besagt, dass Hitchcock extra eiskaltes Wasser in Anspruch nahm, um Janet Leighs Schrei realistischer klingen zu lassen. 1973 behauptete Saul Bass, dass er bei der Szene alleiniger Regisseur sei. Nichtsdestotrotz wurde auch diese Annahme von einigen Crewmitgliedern zurückgewiesen, unter anderem von Janet Leigh selbst, die nach Beendigung des "Jahrhundertmordes" ersteinmal für einige Zeit nicht mehr unter die Dusche wollte, weil der nachhaltige Schrecken groß war und sie sich deshalb fürchtete.

Erklärungsversuche

Aktuell kann das Ende von "Psycho" durch seine psychologisch äußerst fragwürdige Überzogenheit wahrlich keinen mehr beeindrucken wie das zu seinem Entstehungsjahr geradezu euphorisch der Fall war. Und trotzdem kann man Hitchcocks Erklärung und Auflösung vor allem bei Erstsichtung einen gewissen "Aha-Effekt" nicht absprechen. Denn schon allein Norman Bates Schlussmonolog nach dem aufschlussreichen, aber emotionslosen Auftritt des Psychiaters, der sich endgültig in seine Mutter transformiert hat, ist bei näherer Betrachtung reichlich nihilistisch, zeigt er uns doch, dass diesmal der Tod über das Leben gesiegt hat, dass Norman bis in alle Ewigkeit an seine Unschuld glaubt und sein Handeln eine Daseinsberechtigung intus hat und durchaus legitim ist, und dass sein letztendliches Dahinvegetieren und Starren den Zuschauer wiederum dazu zwingt, genauso hilflos in die Leere zu schauen. Norman beziehungsweise seine Mutter spricht zu uns (auch wenn das häufig erwähnte "sie" im Monolog am ehesten die Polizisten und alle restlichen Akteure impliziert) und wir können nur tatenlos zuhören. Die Schlusseinstellung mit Normans Wagen, der aus dem Sumpf hinter dem Motel gezogen wird, symbolisiert die Tiefe einer Psyche, die der Film – vordergründig zwischen den Zeilen – darzustellen versucht.


Weitere interpretatorische Ansätze

"Psycho" hat während Marions Flucht eine Szene im Gepäck, bei der es sich um ein Weiteres lohnt, genauer, ja, konzentrierter hinzuschauen. Das betrifft jene Passage mit dem Polizisten, der auf Marion aufgrund der Übernachtung in ihrem Auto aufmerksam wird und sie mit etwaigen Fragen konfrontiert. Der Polizist ist ein reichlich seltsamer Mann, er ist die einzige Person im Film, dessen Augen durch eine dunkle Sonnenbrille bedeckt ist und man somit seine richtigen Augen nicht vollends erfassen kann. Seine kleinere, eigentlich harmlose Konversation mit Marion kommt eher einem richtigen Verhör gleich, von seinem geheimnisvollen Auftreten ist nicht nur der Zuschauer irritiert und fühlt sich unwohl, gerade wenn es gegen Ende der Sequenz den Anschein hat, als wenn Marion durch den Polizisten im wahrsten Sinne des Wortes „verfolgt“ wird. Das ist Hitchcocks Version der Angst vor einer Polizeikontrolle oder prinzipiell vor den Gesetzeshütern. "Der Polizist verkörpert unsere und Hitchcocks Paranoia, von den gefühllosen Augen des Gesetzes bespitzelt zu werden." [6]

Eine andere Sache betrifft das von Marion gestohlene Geld, das für einen ganzen Kriminalfall verantwortlich ist und die Suche danach schnell in den Hintergrund gedrängt wird. Als MacGuffin konzipiert, spricht Konrad Licht dem Geld eine Bedeutung für die amerikanische Bevölkerung zu. "Die kapitalistische Grundeinstellung der USA wird dem Zuschauer verdeckt verdeutlicht. Letzten Endes musste Marion ihr Leben lassen, da sie das Geld brauchte um eine Heirat und ihr allgemeines Leben zu verwirklichen. Das Autokennzeichen mit den Buchstaben NFB kann als Symbol für die gesellschaftliche Kritik aufgefasst werden. Dabei stellt die Autofirma Ford die allgemeinen Kapitalgüter dar. In den Initialíen stecken die Wörter Norman Ford Bates, wodurch eine Verbindung zwischen dem Mörder und dem Kapitalismus entsteht." [7]


Zum Schluss erlaubt sich der Rezesent auf die Sequenz mit dem Sheriff hinzuweisen. Lila und Sam besuchen den Sheriff (auch Bürgermeister) und seine Frau. Es ist spät in der Nacht. Zusammen wollen sie Bates in seinem Motel anrufen und so den Fall des verschwundenen Privatdetektivs klären. Doch zeitgleich mit der Zusammenkunft der 4 Protagonisten macht sich schon rein visuell ein Konflikt breit, der sich anhand der Tatsache manifestiert, dass beide Parteien unterschiedliche Kleidung tragen. Lila und Sam Straßenkleidung, der Sheriff und seine Frau treten im Schlafanzug auf. Diese Art des Generationenkonflikts nimmt in dem anschließenden Gespräch jedoch eine immer größer werdende Rolle in Anspruch, was sich unter anderem in Folgendem reflektiert: Es kommt zu keiner Einigung, zu keiner befriedigenden Lösung zwischen allen anwesenden Beteiligten, zwischen den jungen und den alten quasi. Auch wird die Frage, wer denn überhaupt auf dem Friedhof liegt, wenn es nicht Norman Bates´ Mutter ist, vergeblich beantwortet.

"Psycho" - Provokation auf Zelluloid gebannt

Alfred Hitchcocks Werke waren zum Großteil schon immer Filme, die sich der Provokation verschrieben. Längeres Küssen als sonst, Vergewaltigung, explizite Gewalt und Andeutung von Sex sind nur ein paar Dinge, die der hiesigen Zensur von damals Sorgen bereitete. Doch Hitchcock verstand es zumeist, den Kürzungen kreativ zu umgehen. Auch "Psycho" spielt in dieser Liga, mehr noch, "Psycho" ist ein einziges großes Wagnis. Von der Duschszene (die in vielen Ländern nur zerstückelt bis gar nicht enthalten war) und Arbogasts Mord wurde bereits Bericht erstattet, ebenso vom Beginn und dem plötzlichen Tod der Hauptdarstellerin, was fehlt, ist die Tatsache, dass "Psycho" der bis dato erste Film überhaupt war, in dem man eine Toilettenspülung sehen und hören kann. Selbstverständlicherweise machte das den Zensoren der USA am meisten Sorgen, besagte Sequenz wurde jedoch letzten Endes nur deshalb nicht herausgeschnitten, da sie ein wichtiger Bestandteil der Handlung sei. Die Toilette erfüllt also eine dramaturgische Funktion, sie ist der entscheidende Gegenstand, in dem ein Beweisstück (hier: Marions Notizen mit Geldrechnungen) verschwindet.


Bernard Herrmann & sein Score

Auf diesem Blog hatte ich ja bereits schon das "Psycho"-Theme vorgestellt, de facto eines der schaurigsten und bekanntesten Stücke überhaupt. Auch hatte ich erwähnt, dass Hitchcock seinen Film ursprünglich nicht mit Musik untermalen wollte, er aber dann von seinem Protegé Bernard Herrmann ("Immer Ärger mit Harry"; "Der unsichtbare Dritte") Immer so begeistert war, dass er seine Gage sogar verdoppelte. Und ja, Herrmanns Partitur ist der Motor des Filmes. Der Spannungserzeuger. Ohne Herrmann wäre "Psycho" nur halb so atmosphärisch dicht und in Sachen Suspense nur halb so wirksam. Gerade das Stück "The Murder", welches Herrmann für die Duschszene komponierte, bleibt unvergesslich. Dabei entspringen insbesondere die tiefen Basstöne einer Inspiration der Dante-Sinfonie von Franz Liszt. Mit Violinen, Violen, Violoncelli und hintergründigem Kontrabass-Spiel polarisiert der Score den Zuschauer. Extreme Lagen, kreischend hohe Töne entsprechen dem Frust, niedrige wiederum der Verzweiflung. Bei Norman Bates´ erstem Auftritt ist im Übrigen sogar gar keine Musik auszumachen. Das ist ein fast vollständig in die Tat umgesetztes Streichorchester, bei dem man nicht drumherum kommt, dass Bernard Herrmann hier etwas ganz Besonderes umgesetzt hat.

Der Cast inklusive seiner Qualitäten

Ungewöhnlicherweise verzichtete Hitchcock in "Psycho" seitens der Besetzung auf wohlklingende Namen. Nichts da mit James Stewart oder Grace Kelly, keine Ingrid Bergman, kein Cary Grant. Stattdessen girff der Meisterregisseur auf unbekannte Darsteller zurück, die erst durch "Psycho" über Nacht zum Star wurden. Nach ihrem Auftritt in Orson Welles´ düsterem film noir "Im Zeichen des Bösen" war die bekannteste sicherlich noch Janet Leigh ("Botschafter der Angst"; "The Fog – Nebel des Grauens"), die auch dort in einem Motel dem Wahnsinn einiger Psychopathen ausgeliefert war und für ihr Überleben kämpfen musste. Es wird gemunkelt, dass Hitchcock ihr deshalb die Rolle angeboten hätte. Aber gut, Leigh nahm den Job schließlich für eine Gage von etwa 100.000 Dollar an, trotz, dass noch andere Schauspielerinnen dafür vorgesehen waren (Eva Marie Saint, Piper Laurie, Hope Lange usw.), und bereicherte den Film summa summarum mit einer großartigen Performance – und das, obwohl sie als Hauptdarstellerin nur eine geringe Screentime aufweisen kann und im Rahmen der Duschszene sogar mehrmals blinselte, als die Kamera ihre offenen Augen fokussiert.

Anthony Perkins ist nichtsdestotrotz der Star. Er brilliert. Sein Mimikenspiel, seine Aura, seine Gestik, seine Artikulation verleihen dem Film eine weitere bedrohliche Note. Vorher war Perkins allerdings als Fernsehdarsteller bekannt und erhielt für die Rolle des Norman Bates eine Gage von 40.000 Dollar, dessen Summe einem schon mal begegnet sein müsste. Mit Vera Miles ("Der schwarze Falke"; "Der falsche Mann") Martin Balsam ("Die zwölf Geschworenen"; "Mord im Orient-Express") und John Gavin ("Mitternachtsspitzen"; "Spartacus") komplettierte Hitchcock den umwerfenden Cast, der bis in die kleinsten Nebenrollen perfekt besetzt zu sein scheint.

Hitchcocks obligatorischer Cameo-Auftritt

Vorab ersteinmal die Warnung, dass der folgende Absatz spoilerlastig ist. Denn dieser Absatz widmet sich ausnahmsweise mal dem Hitchcock-Cameo. Ist er in den meisten Filmen des Regisseurs doch sehr offensichtlich und nur unschwer zu erkennen – nicht aufgrund seiner üppigen Gestalt -, schlägt "Psycho" wieder in eine andere Kerbe ein. Hitchcock hielt es in diesem Zusammenhang für besonders notwenig ganz zu Anfang aufzutreten, sodass das Publikum nicht unnötigerweise von der Handlung abgelenkt wird. Die Szene als solches ist darüber hinaus tendenziell nicht bedeutsam, von allen Cameos sicherlich der unscheinbarste und zeigt den "Master of Suspense" nach ca. 7 Minuten mit dem Rücken zu Marions Büro mit Cowboyhut.

Ein abschließendes Resümee


Es dürfte eigentlich klar sein, was fazitmäßig in Bezug auf Alfred Hitchcocks "Psycho" hier erscheinen müsste. "Psycho" ist einer meiner absoluten Lieblinsfilme, der sich eine Würdigung in Form dieses Essays redlich verdient hat. Hitchcock lässt hier eine Atmosphäre der beängstigenden Ungewissheit und des unterschwelligen Irrsinns entstehen, die mit so wenigen, aber ungemein wirksamen Mitteln wahrlich beispielhaft ist. Sein zynischer Humor verbunden mit moralischen Implikationen und doppeldeutigen psychotischen Motiven, die Technik, die Musik, die Darsteller, die ganze Exposition, das Spiel mit dem Zuschauer und seinen Ängsten, "Psycho" ist ein Musterbeispiel eines zum Kult gewordenen Psycho-Thriller, ein herausragender Kosmos des Grauens, der unter der Oberfläche so viel mehr beherbergt als nur plumpe seelische und körperliche Gewalt. Oder wie es François Truffaut zu sagen pflegte: "Die ganze Konstruktion des Films kommt mir vor, als steige man eine Art Treppe der Anomalie hinauf. Zuerst ein Beischlaf, dann ein Diebstahl, dann ein Mord, zwei Morde und schließlich Geisteskrankheit." Ein Meilenstein.

8 | 10

Anmerkungen

[1]Alfred Hitchcock im Interview mit François Truffaut
[2]Alfred Hitchcock im Interview mit François Truffaut
[3]Alfred Hitchcock im Interview mit François Truffaut
[4]Oliver M. Strate aus "Psycho" - Eine psychodynamische Betrachtung
[5]Anthony Perkins aus Seite 3 im Booklet der DVD "Psycho" (Universal, 2003)
[6]Konrad Licht aus einer Hausarbeit zum Vergleich 1960 Original & 1998 Remake
[7]Konrad Licht aus einer Hausarbeit zum Vergleich 1960 Original & 1998 Remake


Quellen

●François Truffaut: "Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?" (1966). Heyne, München 2003
●Paul Duncan: "Alfred Hitchcock – Sämtliche Filme" (2005). Taschen, Köln 2003
www.Wikipedia.de/Psycho (1960)
●John W. Wall: "Touch of "Psycho?"
●Oliver M. Strate: "Psycho" - Eine psychodynamische Betrachtung
Konrad Licht: Eine Hausarbeit zum Vergleich 1960 Original & 1998 Remake
●Booklet & Making Of der DVD "Psycho" (Universal, 2003)