Mittwoch, 18. April 2018

Zum Tod von Miloš Forman (1932-2018)


Miloš Forman wurde 86 Jahre alt. In diesen 86 Jahren konnte er nicht seinen Monica-Lewinsky-Film verwirklichen. Ein Monica-Lewinsky-Film von Miloš Forman wäre ein Miloš-Forman-Film geworden. In einem Monica-Lewinsky-Film hätte Miloš Forman seine Themen bearbeiten und vertiefen können: Unterdrückung, Begehren, Mythos. Liebes- und Lebensbiografien. Forman war ein Entdecker, der in den mikroskopischen Reizpunkten des Menschlichen kramte. Er suchte darin nach den Optionen autonomen Handelns inmitten angekratzter Würde. Aber sein Werk, das Werk eines ebenso sensiblen Beobachters wie schneidigen Erzählers, bleibt uns als Kino erhalten, das die Nuancen liebte und dabei das Sag- und Machbare hinterfragte. Formans Werk war kein "Kuckucksnest", in dem einer seiner berühmtesten Filme spielt. Die Totalität des Filmemachens entsprach Formans Prinzipien nicht. Das Verschlüsselte, das Kryptische – Formans Filme sind, demgegenüber, vielmehr ethische Erzählungen, die in ihren offenen Wunden uns die Bürde des Engagements vermitteln. 

Und Geschichten erzählte er, die konnte er unnachahmlich erzählen: "Da muss immer noch etwas anderes in der Geschichte stecken." Forman erzählte Geschichten über Sinnkrisen ("Taking Off"), psychisch Kranke ("Einer flog über das Kuckucksnest"), Hippies ("Hair"), Michael-Kohlhaas-Untergangsuntergeher ("Ragtime"), Genies ("Amadeus"), Pornoverleger ("Larry Flynt") und Komiker ("Der Mondmann"). Ausladend waren seine Geschichten, epochal, zerrissen – wie man will. "Die Versiegelung der Zeit" heißt ein Tarkowskij-Buch, es zeigt, wie präsent "Zeit" im Film sein kann, wie sehr Signatur, wie sehr schaffendes Moment und wie sehr organische Komposition, und in Miloš Formans Filmen ist "Zeit" unweigerlich. Er reflektierte das Amerika zu Beginn des 20. Jahrhunderts sowie der 60er und der 70er Jahre, machte Rast im Wien der 1820er Jahre und besuchte Spanien gegen Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts. Nacherzählungen kamen dabei nie heraus. Durch alle Maskierungen hindurch suchten Formans Protagonisten (meist anarchisch) ihr Kostüm.

Formans Eltern starben früh. Die Mutter in Auschwitz, der Vater in Mittelbau-Dora. Die Zielgerichtetheit von Menschen, die, obgleich eingeschlossen und weggeschlossen, dennoch "etwas wagen", repräsentiert den Siedepunkt von Formans Schaffen. Bereits in der experimentierfreudigen Nová Vlna, der tschechoslowakischen Neuen Welle, drehte der Avantgardist eines lebensklugeren Kinos soziale Traktate als Kritik an despotischen Strukturen zwischen "amüsanter Absurdität und selbstironischer Melancholie" (Andreas Rauscher). Filme wie "Der schwarze Peter" (1963) und "Der Feuerwehrball" (1967) stehen einer Lust auf einer "existenzialistischen Weltbühne" (Rauscher) gegenüber. Lange bevor Formans Helden wissen, dass sie eine Heldenrolle spielen, überbieten sie sich gegenseitig – und zweifellos spiegelt sich in Miloš Forman eine Glasscherbe von jedem seiner Helden. Sei es die Tragikomik des Ungehorsamen, sei es die adoleszente Naivität, das Publikum zum Lachen zu animieren, sei es die Verletzlichkeit oder sei es die Angst vor der Vernichtung. 

Die sich im Angesicht des Nationalsozialismus eingebrannten Lebenserfahrungen Formans zeigen sich in einem Kino institutioneller Zwänge, und keiner als Randle Patrick McMurphy (Jack Nicholson) wird dem Grenzgänger Miloš Forman mehr gerecht: Randle Patrick McMurphy ist eingesperrt und ausgesperrt, wird pathologisiert und hofiert die Freiheit. Von einem Spielfeld zum nächsten. Tischtennis. Pingpong. Und immer liegt der Schatten geistiger Kapitulation, geistiger Rache, geistiger Zerstörung vor und hinter McMurphy. Das System schlägt zurück, schlägt die Individualität, die Freiheit. Vordergründig politisch sind Formans Filme jedoch nicht. Dafür ist er nicht genug Wissenschaftler und Menschenparkwächter, sondern zur Genüge Menschenliebhaber, um jene anzuhören, die selten angehört werden. Miloš Forman weiß um die hintersten Persönlichkeitswinkel seiner Menschen, um die Unerfülltheit ihrer Bedürfnisse. Er weiß um die "nackte Wahrheit" eines Gefühls, das sich immerzu spaltet, aufspaltet – zur Schönheit existenzieller Empathie. 

Miloš Forman wurde 86 Jahre alt. Jetzt hat er Urlaub.