Mittwoch, 8. Februar 2017

Dokumentation: "Peter Handke: Bin im Wald. Kann sein, dass ich mich verspäte..." [D 2016]


Peter Handke, Schriftsteller, Erzähldeuter, Brummbär, ist in dieser vitalisierend ungeschliffenen Dokumentation über sich selbst wahrlich viel zu viel im "Wald". Daraus folgt, dass er sich zwangsläufig "verspäten" muss. Peter Handke verliert sich im Naturnahen, Corinna Belz dagegen, Regisseurin, Beobachterin, Nachfragerin, im menschlich Nahen. Drehte die studierte Philosophin und Medienwissenschaftlerin mit "Gerhard Richter – Painting" bereits ein anderes stotternd säuselndes Tiefenporträt ungeahnter Nähe, das im reflexiven Augenblick der Tätigkeit zerging, so diskutiert "Peter Handke: Bin im Wald. Kann sein, dass ich mich verspäte…" die sinnästhetischen Empfindungen, die zu dieser Tätigkeit führen. Das Unerklärliche überwindend, das direkt aus dem "Müssen" einer inneren Pflicht resultiert, versucht Belz, das Fühlen beim Schreiben zu theoretisieren. Obgleich ihr das nicht gelingen mag – konsequent ist sie, wenn sie vollkommen ungezwungen eine Zeit einfriert, die, fernab jener Hektik, die uns sonst umgibt, ihre eigene kleine, vergängliche Geschichte schreibt.

Dafür scheint Peter Handke als Gesprächspartner ideal zu sein, ein großer Autor der "Naturmaterialität". Er schrieb und schreibt Sounds, um zum Wesen dessen vorzudringen, das unlängst abstrakt, wie ein Störgeräusch, geworden ist: die Vignetten der Gegenwart, das Konkrete des Umkreisenden. Er schreibt über die Entfremdung des Subjekts anhand seiner Umwelt. Und dieser Peter Handke lässt sich nicht in die Karten schauen, so wie sich Gerhard Richter einst nicht in die Karten schauen ließ. Literatur, das sind Bilder von Zeichen, und die collagenhaft eingeschnittenen Bilder von Handkes farbenfroh ausstaffierten Notizheften verbinden sich geistig mit Richters expressiven Farbmosaiken. Was beide Dokumentationen gemeinsam haben, liegt in ihrer meditativen Gedankenlosigkeit, zwei etwas borstigen Schlafwandlern zu begegnen, die sich im Gefühl mitteilen. Peter Handke windet sich hierbei vor der Qual der Selbsterklärung. Eine Geschichte zu erzählen, ist nichts gegen das, wenn sich die Geschichte ohne Hilfe erzählt, ohne forcierende Konflikte, wohlgesetzte Höhe- und Wendepunkte – eine Geschichte der John Fords, Yasujirō Ozus und Michelangelo Antonionis dieser Welt.

Belz setzt immer wieder den jungen Schreibanarchisten Handke und den alten Schreibsauertopf Handke miteinander in Beziehung, als der eine die überkommenen Literaturvorstellungen des Beschreibens anmahnte und der andere, gemütlich in seinem Hausdomizil sitzend, das Beschreiben seiner selbst sabotiert. Denn viel lieber schneidet der alte Handke garteneigene Pilze, lobt den mystisch-fleischlichen Klang dieses Vorganges, zerhackt Äste und dekoriert den Wegrand mit Steinen. Peter Handke, und dies ist wahrscheinlich auch der einzig gerechte Weg, ihn zu greifen, "liest" in dem, was nicht "Text" ist, während Corinna Belz ihm über die Schulter guckt: neugierig, wissbegierig, hypnotisiert. Kein Schnitt oder schlagartiger Szenenübergang stört die Verschlungenheit des Vergessenen in einem altzeitlichen Selbstexil. Falls Handke widerwillig reden muss, über die Quelle seiner Arbeit, über Biografisches, dann stopft er die Sätze heraus und es manifestieren sich, zusammen mit seiner Tochter, irrelevante Banalitäten wie eine neu gekaufte rote Jacke. Das wirklich Wichtige nämlich, das wird zwischen dem Text erfahrbar, in der Erfassungsbeschreibung.

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