Dienstag, 24. Juli 2012

"Scoop - Der Knüller" [GB, USA 2006]


Seine Religion sei der Narzissmus, sagt er. Er, das ist Woody Allen, das ist ein plappernder Sack, der Londons Straßen mit dem Mundwerk verunsichert, um einen perfiden Serienverbrecher, den Tarotkarten-Mörder, sowohl durch die Unterwelt des Jenseits als auch quer über die Oberwelt der Gegenwart zu fangen, um ihn, wie Woody Allen sagen würde, mundtot zu machen. Selbstverständlich geschieht dies alles unfreiwillig: So richtig will der gar nicht. "Scoop" ist kein großer, kein hintergründiger Allen, es ist ein belebender Spaß-Allen, den man wahrscheinlich nur als Komplettist und Verehrer liebhaben kann, aber es ist auch ein kleiner beschwingter, einer, der statt dem schweren Schuh mit den nackten Zehenspitzen tanzt. Tänze sind sie ja alle, die Allen-Filme, meist verbale Tänze zwischen Laster und Leidenschaft mittendrin.      

Und diese Jagd, sie verbeißt sich in all dem, was man aus archetypischen Krimigeschichten garantiert nicht kennt. Vorhersehbar ist in diesem Film gar nichts, eher forciert diese Jagd ein Hobby und mutiert bald zu einer Quelle verrückter Situationen, deren Überwindung improvisierte Ambivalenz erfordert: Woody Allen (er spielt einen Zauberer Marke Taschenspieler namens Sid Waterman neben anderen Namen) und seine Mitstreiterin Scarlett Johansson (sie verkörpert sichtlich grün hinter den Ohren die Schülerzeitungsschmalspurjournalistin Sondra Pransky neben anderen Namen) reden sich immer wieder eloquent heraus; das ist irgendwann charmant und irgendwann ziemlich irrsinnig und hartgesotten, wie Vater und Tochter eben, die zusammenhalten, komme was wolle.

Was die beiden Seelen erleben, ist, konfrontiert zu werden mit englischen Aristokraten, die man sowieso nie verdächtigen darf. Aufgeplusterte Landsitze und geschmackvolle Gärten und Poker spielende Gentlemans in rauchigen Salons vergegenwärtigen die Hilflosigkeit des Gesetzes, ihnen die Show zu stehlen, wenn lediglich Indizien darauf hinweisen, dass nichts auf sie hinweist. Die einzige Möglichkeit ist die, dass von innen heraus Beweise gesammelt werden müssen. Allen versteht es, zu karikieren und zu überspitzen. Wer steckt Hugh Jackman schon in eine Rolle, die alle Vorurteile gegenüber dem Sexiest Man Alive bedient? Jackman als etwas dandyhafter, etwas verführerischer, etwas verlockender Mörder unter der penibel gepflegten Fassade.


Indem Allen unter Bezugnahme intellektueller Schärfe dem Verdächtigen näher zu kommen gedenkt und sich die Kollegin deshalb von ihm entfremdet, weil sie sich ausgerechnet in das Objekt der Begierde verknallt hat, resultiert daraus eine Lebendigkeit aus dem Fabulieren zahlreicher Anekdoten, Hinderungen und Minigeschichten, sodass "Scoop" nicht nur unterhält, sondern überschäumt vor Witz, Esprit und verkehrten Wendungen. Auch wenn Allen sich gar nicht so sehr für den Clash der Kulturen interessiert (immerhin prallen direkte Amerikaner auf gehemmte Briten), und ebenfalls für das Funktionieren einer investigativen Presse, so weiß er doch, wie man Wortgefechte schreibt, die sukzessive überhandnehmen, wenn sich der Fall turbulenter gestaltet und undurchsichtiger aufbläht.

Die schönsten Szenen, sie sind zu schön: Etwa die Bosheit Allens gegenüber einem Toten (stachelig wie eh und je: Ian McShane), ihn am liebsten noch einmal umzubringen, nachdem sich seine Hinweise aus dem Fegefeuer zunächst als falsch erwiesen. Die Schwimmbadszene positioniert Allen hingegen augenzwinkernd direkt als Vater im Bademantel, während er seine Fähigkeiten als Magier für seine detektivische Unerfahrenheit nutzt – er merkt sich Zahlen unter Zuhilfenahme von Bildern im Kopf und gewinnt scheinbar völlig legal bei Glücksspielen. Diese Verschmelzung der Ebenen von dem Jetzt und dem Danach, dem Irrationalen und dem Rationalen evoziert eine ungeahnte Spielfreude der Welten.

In einer weiteren pointierten Szene redet sich Allen vor einer Haushälterin heraus, um eigentlich jenes Zimmer aufzusuchen, in dem der ultimative Verbrechensnachweis versteckt sein soll. Später gesteht diese Frau, dass sie dachte, der Mann sei betrunken. Das passt gut: Ein normaler Allen ist lange kein normaler Allen. Die Geschichte endet schließlich, wie die folgenreiche Beziehung zweier Turteltauben begann, nämlich im Wasser, nur mörderisch. Auf einmal wird Peter Lyman (Jackman) böse, offenbart seine wahren Absichten – und wo bleibt Woody? Das Fahren auf der linken Spur bereitete ihm schon immer Schwierigkeiten; in einem amerikanischen Film wäre er der Held und würde die Braut vor dem Ertrinken rechtzeitig retten. In "Scoop" (dem Knüller) stirbt er kurz davor, Unfall, unbedingt tödlich. Verflixt aber auch! 

Nachwort auf der Trauerfeier: "Scoop" ist ein toller Film, ich meine das ganz aufrichtig.  

6 | 10