Freitag, 15. März 2013

"Westworld" [USA 1973]


11 Jahre vor "Terminator" übernahmen Maschinen die Macht, 20 Jahre vor "Jurassic Park" eröffnete Michael Crichton bereits einen (dystopischen) Vergnügungspark, der für 1000 Dollar am Tag bereit ist, alle innersten Sehn- und Genusssüchte seiner dekadenten Besucher zu befriedigen. Eine Oase der Lust, der Sensation, der Unterhaltung, der Unsterblichkeit und der Gewissheit, allen kriminellen wie moralischen Nebenwirkungen geschickt auszuweichen, weil alles nur dem einen Gesetz verpflichtet scheint: dem der Illusion, der nahezu perfekten Illusion, der zweiten Realität, bis man nicht mehr unterscheiden kann und sich unter Umständen verliert. Von Menschen gesteuert, von Maschinen ausgeführt, ein perfektes, ertragreiches System, die Wirtschaftspolitik von morgen.

Allerdings ist dies kein Konzept auf Dauer. Wie in "Jurassic Park", mit dem "Westworld" ohnehin frappierende Ähnlichkeiten teilt, mutieren die Hauptattraktionen durch eine Funktionsstörung – Dinosaurier in jenem Fall, Bewohner in diesem – zur schier unzerstörbaren Mordmaschinerie, töten jeden, der sich ihnen in den Weg stellt. Musste ja so kommen; der Mensch bewundert die Früchte seiner Arbeit, macht sich abhängig von seinen selbst geschaffenen, wissenschaftlichen Produkten, seilt sich jeglicher Ethnie ab, zieht sich zurück, genießt, säuft, prügelt, erschießt, forciert seinen Sexismus und Sadismus, und zerstört sich damit peu à peu selber. Handwerklich mag "Westworld" in die Jahre gekommen sein, aber seine Intention ist zeitlos, ist erschreckender denn je. Interessant sind hierbei die eigenwilligen, im Netz auffindbaren Deutungsmöglichkeiten.


Demnach sei der verrückte Attraktionsreigen eine Allegorie an das Filmemachen an sich, die unterschiedlichen drei historischen Zeiträume des Parks – Wilder Westen, Mittelalter, Rom – würden die damit unmittelbar verbrüderten drei Genres – Western, Ritter- und Sandalenfilm – repräsentieren und die Frage aufwerfen, inwieweit die Identifikation im Kino in Relation zur Amoral von Peter (Richard Benjamin) und John (James Brolin) mit dem Bösen gehen dürfe. Dass die Sehnsucht nach Verantwortungslosigkeit laut dieser Interpretation ausgerechnet von synthetischen Robotern letztendlich mit dem Tod bestraft wird, sei konsequent. "Westworld" hat, ganz ohne doppelten Boden, hingegen seine stärksten Momente, wenn du nicht weißt, ob du künstlichen Androiden oder menschlichen Touristen gegenüberstehst, wenn du zögerst zu schießen (zum Beispiel gegen den versteinert dreinblickenden, monoton schleichenden Yul Brynner), zögerst Sex zu haben, weil die Grenze aufgrund der Technologieperfektion fließend verläuft. Dieser Falle kann keiner entfliehen, auch John nicht. Gegen Ende des Films hilft er einer gefesselten Frau in den Überresten des Abenteuerkomplexes auf die Beine, um nach ein paar Sekunden später beschämt anzuerkennen, dass er einen Roboter mit Wasser getötet hat. 

Leider bleibt Crichton trotz vieldeutiger Ansätze und unübersehbarer Kritik überaus oberflächlich, wenn er seine Event-Achterbahn mehr und mehr dem bloßen Event unterordnet und fast ausschließlich überlange Schauwerte abfeiert. Sukzessive konzentriert sich "Westworld" nämlich auf die Aktion, die Action, die Verfolgung, die Zeitlupe, pendelt zwar sichtlich ambitioniert zwischen zwei Tourismusgebieten, allein, es ist der Wilde Westen, der von Crichton die größte Aufmerksamkeit erhält, wodurch die beiden anderen Teile zu konturenlosen Anhängseln degradiert werden. Crichtons vielversprechende Idee ist unausgereift formuliert und schwammig umgesetzt, weil er diese faszinierende Welt nicht tiefgründiger erkunden, erklären, analysieren will, sondern ihr genauso ekstatisch verfällt wie seine Protagonisten. Aus einer böswilligen Satire mit einem Schuss Zukunftsangst kondensiert somit ein emotionsloser Actionfilm mit Peckinpah-Ballereinlagen. Das ist schwer unterhaltsam, aber für einen Film dieses Formats schlussendlich zu wenig.   

6 | 10