Donnerstag, 5. Oktober 2017

"Es" / "It" [USA 2017]


Der Roman "Es" ist erschlagend: all' die Liebe und Lage des Menschen. Er dürfte den Seelenhaushalt unzähliger Leser, vorzugsweise junger Leser, gehörig durcheinandergewirbelt, dürfte einen nicht menschlichen Fußabdruck in das kulturelle Genregedächtnis hinterlassen haben. Weil "Es" nicht nur Stephen Kings Schlüsselstück ist, sondern die Angst universalistisch begreift, überdauerte es als ein Werk, das, wie es einmal jemand schrieb, in Proust'schen Dimensionen durch die Verwehungen und Verwerfungen der Zeit als solche einen Akt vollzieht – einen Akt der Freundschaft, der Liebe, des familiären Geheimnisses. Der Clown, sardonisch Pennywise genannt, war hier kein schmückendes ritualisiertes Horrorelement, sondern eine Abstraktion, ein allegorisches Bekanntmachen mit jenen eine Identität konstituierenden Ängsten, der wir uns sowohl als Kinder gestellt haben als auch als Erwachsene weiterhin stellen müssen. Im Zusammenhalt beschrieb King Alltagsträumer, die sich aufeinander verließen, nicht mehr träumen zu dürfen. Die frech die andere Backe hinhielten. 

Die Dialektik zwischen Kindern und Erwachsenen, die sich bereits im ersten Teil der Geschichte entscheidend auflöst, damit Pennywise (vorerst) besiegt werden kann, vertieft sich in der jüngsten Verfilmung zu einer Alterskreuzung reflektierten Handelns unter einer Gabe naiven, aufgeschlossenen Bestaunens. Der dem literarischen Vorbild hochgradig gerecht werdende Cast versammelt Kinder, die das "Spiel" hinter sich lassen, da ein anderes "Spiel", eben das Spiel, von dessen Wichtigkeit jeder überzeugt ist, längst die Erinnerung an die Zukunft diktiert. Es ist ein Spiel, für dass das Kind vorzeitig allein ist, autonom zu entscheiden – oder unter Gleichgesinnten zu überleben. Auch in Andy Muschiettis größtenteils kürzungssicherer Adaption flüchten die Kinder aus regressiven Elternhäusern, in denen die Bedrohung, der sich selbsterhaltende Horror, Stephen-King-typisch dem eigenen sozialen Sein entstammt, während die "Flucht" gleichermaßen aus der Abhängigkeit von Unterdrückungsstrukturen führt, einem, diesem Status zu entsprechen. 

Den infolgedessen spontan einberufenen und wachsenden "Club der Verlierer" erweckt Muschietti süßholzraspelnd zum Leben, affirmiert Verantwortung zu einem rührenden, ethischen Willen. Speziell Ben (Jeremy Ray Taylor) und Beverly (Sophia Lillis), ihres Zeichens zwei der einprägsamsten "Lover" und Helden des Nichtheldischen, überbieten sich in ihrer ungekünstelten, liebesfrohen Bescheidenheit, wenngleich Bens Leidenschaft für feurige Herzschmerzlyrik im Ungefähren, schlicht Angedeuteten seinen Charakter umreißt. So ergeht es dem Ensemble allgemein. Bei King, wohlgemerkt, war der Weg des Vertrauens ein verästelter, unsicherer. Die Kinder mussten entdeckt werden, mussten sich erst entdecken, ehe sie ein Schwur einer höheren Aufgabe zusammenschweißte. Andy Muschietti hat diese Zeit nicht, weshalb "Es" nichts formt, nichts entwickelt, nichts organisch sich entwickeln lässt. Die Charaktere sind "da", haben diese Eigenschaft, und umso zielgerichteter wissen sie, in welchen Schlamassel sie als nächstes geraten. 


Zu allen Figuren gelingt folglich eine derartige Nähe wie zu Ben, Beverly und Bill (Jaeden Lieberher) nicht (enttäuschend: Stans intellektuell scharfsinnige wie weitsichtige Einwürfe verglimmen vollends). Der Widerspruch, mit dem sich der Film konfrontiert sieht, ist dabei der, dass trotz des Zeitwechsels – die Geschichte beginnt diesmal in den 80ern, sich zu entfalten – "Zeit" großzügig interpretiert wird. Zwischen den äußeren, unlängst einer Wiederverwertungskur verordneten Eigenheiten der 80er und dem saloppen Habitus der 2010er liegt ein schmaler Grat: Richie (Finn Wolfhard) ist zwar die schnatternde Entlastung aus dem Roman, zugleich jedoch weit davon entfernt, sein Spruchspektrum über Schwänze und Schwanzlängen zu erweitern. Die Anbiederung an den Zeitgeist, an krude komödiantische Kolportage, verwandelt die Bande um Henry Bowers (Nicholas Hamilton) im selben Atemzug zu punkigen, Springerstiefel stampfenden Straßeneckenschnorrern, von denen höchstens eine akute Ansteckungsgefahr ausgeht – falls Dummheit ansteckend ist. 

Leibhaftig bedrohliches, Urängste ausschöpfendes Schaudern ist demnach dann nicht möglich, sobald die Figuren… Figuren bleiben. Namensvetter, Romanimpulse, Drehbuchmarionetten. In "Es" geht vieles den denkbar ungeeignetsten, da umgekehrten Weg des Nichternsthaften, des fast Karikaturesken. Der Coming-of-Age-Überbau dient vielmehr, will man böse sein, als Legitimation, den Schock zu veräußerlichen, und das nicht zu knapp. Wo immer es angebracht wäre, das Subtile, Enigmatische einer schleichenden Zuspitzung auszureizen, feuert Muschietti aus allen Rohren – gemäß jedwedem "Insidious"- wie auch "Conjuring"-Ableger: einer Geisterbahnfahrt durch zu selten smarten und intelligenten Wahnwitz. Insbesondere das im Roman häufig paraphrasierte "Schweben" verkommt in Muschiettis "Es"-Variation, neben einer Waschbeckenblutfontäne, zu einer jegliche Fantasie überwindenden Computerarchitektur, die recht kalkuliert auf überraschend Entgleisendes bedacht ist, auf eine Überraschung, bei der das Geschenkpapier allerdings von weitem raschelt. 

Inmitten all' der Untotenattacken (teils ohne Kopf) im Fahrwasser einer ebenso nicht enden wollenden (Untoten-)Serie und zahlreichen Gestaltmetamorphosen (aus Georgie, der die eindringlichsten Szenen bestreitet, schlüpft Pennywise in absonderlichster Body-Horror-Manier) wird das Publikum in "Es" professionell, abschnittsweise überaus packend, wenngleich vorhersehbar an die Hand genommen. Am bedauerlichsten dürfte sein, dass die kosmischen Leerstellen Kings, die Tiefe seines solidarischen Pathos, gleichfalls an einem Wesen abprallen, das nur Clown (jetzt: Bill Skarsgård), nur Postmoderne ist: ein wilder Witz, bestehend aus Zähnen und rhythmischem Zucken. Zielgruppenkram, der eigenen Trivialität auf den Leim gegangen. Karnevalsmaterial, leider. Und nicht besonders raffiniertes noch dazu. Das war in "Nightmare on Elm Street 5 – Das Trauma", ein Film, der das lakonisch eingefangene Kinoprogramm in einer Szene schmückt, symptomatisch nicht der Fall. Darin konnte und durfte geträumt werden, ohne den Programmablauf des Traums zu (er)kennen.

5.5 | 10